Life-Long Weight-Gaining, 2013

Performative Installation (Einzelausstellung)

Neuer Kunstverein Wien, kuratiert von Felicitas Thun-Hohenstein


Life-Long Weight-Gaining

Performance, 3 1/2Std mit Personenwaage aus Schokolade gegossen

 

Life-long Weight-Gaining

Aufsteller (Fotodruck, 170x60cm)

Postkarte (21x14,8cm)

 

Happy Valentine's day

Objekt (Fotografie, foliert, auf Aluminium kaschiert,

MDF-Sockel lackiert, 6kg Pralinen, 110x40x65cm)

 

Life-long Weight-Gaining - Teaser

Animationsvideo 16:9 (HD), 00:35


Life-Long Weight-Gaining, Foto: Robert Bodnar, Make-Up/Haare: Manuela Maderthaner
Life-Long Weight-Gaining, Foto: Robert Bodnar, Make-Up/Haare: Manuela Maderthaner

„Life-Long Weight-Gaining“ ist eine fiktive Verleihung eines Preises eines Schönheitswettbewerbs, der die Idee des Schlankheitskults unserer Zeit ironisch zu überspitzen versucht, indem er für ein „lebenslanges Zunehmen“ auszeichnet. Über die öffentlichen „Infoscreens“ in Wien wurde vor der Ausstellung für diese mit einem kurzen Werbeclip geworben. Als Symbol für Schönheitswettbewerbe war innerhalb der Ausstellung nur eine Schärpe zu sehen, auf der „Life-Long Weight-Gaining“ zu lesen stand, welche über einem lebensgroßen Aufsteller der Künstlerin hing. Die Schärpe selbst sieht aus wie ein fettes Pendant ihresgleichen. Der Aufsteller als Platzhalter dicker Menschen zeigte mich als (halb)nackten Körper, welcher mit einem Fuß auf mehreren Personenwaagen steht und mit beiden Händen seinen (respektive ihren) Bauchspeck (englisch: „love handles“) hielt.

Die Figur wurde begleitet von einer Live-Performance, bei der ich auf einer selbst hergestellten Schokoladenpersonenwaage stand, bis ich von ihr rutschte. Ich war nackt, die Haare unter einer hautfarbenen Bühnenmaske verborgen und der Körper in einem artifiziellen Hautton geschminkt. Über die Haut lief an der Außenlinie des Körpers eine Art „Naht“, welche die zwei Teile einer Gußform wie beispielsweise die von Schokoladenosterhasen imitiert.

 

Die heroische Geste des Aufstellers gegenüber der Verletzlichkeit der nackten Performerin, die durch das objekthafte Make-up eine Referenz zu Abgußhohlformen herstellt, standen innerhalb der Ausstellung in einem Dialog. Diese Fragestellung wurde des weiteren von dem Spagat der Performancekunst in Ausstellungsräumen begleitet, nämlich dem zwischen dem bewegten Objekt und dem unbewegten Subjekt (im Sinne des französischen Kurators Pierre Bal-Blanc).

Die dritte Arbeit heißt „Happy Valentine`s day“. Eine collagierte Fotoarbeit lag auf einem schrägem Sockel, der zu 2/3 mit Pralinen befüllt war. Im oberen Teil sieht man mein makelloses Gesicht. Ein dicker, von Geweberissen gekennzeichneter Bauch trat zum Vorschein, als das Publikum sukzessive die darauf liegenden Pralinen gegessen hatte und somit das Bild freigelegt wurde.

 

Pralinen stehen hier als Symbol für die Ambivalenz zwischen Genuss und Sünde. Die einzelne Praline ähnelt im Querschnitt dem Aussehen einer Fettzelle (Zellkern, Zellwand, usw.). Das Know-how der Pralinenherstellung ist begleitet von der Frage nach dem „Was ist drin?“. „Was ist drin?“ wird nicht nur durch die lebendige Hohlform der Performerin konterkariert, sondern könnte in allgemeiner Hinsicht interpretiert werden, da unsere Kultur, bestimmt durch ritualisiertes Genießen respektive Genussfeindlichkeit, lebenslange Enthaltsamkeit („Restraint Eating“) abfordert. Mir ist sehr daran gelegen, nicht nur eine kaum hinterfragte und täglich stattfindende Diskriminierung von Dicken aufzuzeigen, sondern humoristisch zu einer Genußfreundlichkeit in Verbindung mit Kontemplation, Stärkung der Sinne und Verlangsamung zu führen.

Letzteren Gedanken weitergeführt verweise ich visuell wie sprachlich auf Begriffe, die auf andere Lebensbereiche referieren wie z.B. „Life-Long Learning“ als Maßnahme einer Abforderung einer „lebenslänglichen Flexibilität“ (die Bereitschaft zu permanentem Lernen), welche gleichzeitig mit einer systematischen Entwertung angeeigneten Wissens innerhalb immer kürzer werdender Zeiträume notwendigerweise einhergeht. Diese immerwährende Aufmerksam- und zugleich Atemlosigkeit wird auch durch den Charakter des fiktiven Schönheitswettbewerbs ausgedrückt, welcher auf der Ebene des Wunsches nach Anerkennung die Hoffnungen (junger) Künstler_innen nach einer Positionierung in der Kunstwelt ausdrückt und somit eine pausenlose Erneuerung und Präsenz abverlangt.

Schokoladenwaage, 2013, (c) Veronika Merklein, Foto: Robert Bodnar
Schokoladenwaage, 2013, (c) Veronika Merklein, Foto: Robert Bodnar

 

PRESSESTIMMEN

 

"Die Presse" ("Werbung und Kunst nehmen an Gewicht zu", 16.5.2013)

"Wiener Zeitung" (25./26.5.2013)

"Werbung und Kunst nehmen an Gewicht zu", Almuth Spiegler, Die Presse, 16.05.2013
"Werbung und Kunst nehmen an Gewicht zu", Almuth Spiegler, Die Presse, 16.05.2013

Felicitas Thun-Hohenstein über Veronika Merklein


Veronika Merklein navigiert als Künstlerin zwischen sozialen, psychologischen, geschichtlichen und philosophischen Referenzsystemen. Innerhalb ihrer künstlerischen Arbeitsweise steuert Veronika Merklein nach längerer künstlerischer (Feld)forschung punktgenau die jeweilige mediale Koordinate an. Diese punktgenaue Landung gelingt deswegen, da die inhaltliche Brisanz der Arbeiten in ihrer formal ästhetischen Umsetzung ihre Meisterin findet. Diese eindrücklichen Koordinaten, ihre materialisierten Markierungen, seien es Performances, Texte, Fotografien, Installationen oder Objekte, lassen solchermaßen Fragen zum „Mensch sein“, auf einer visuell lustvollen Ebene zu, die in Komplizenschaft mit Ironie und Humor, keinen Zweifel an der Dringlichkeit und Wirksamkeit ihres Statements zulassen.
In der Solo-Show „Life-Long Weight-Gaining“ im Neuen Kunstverein Wien steht der Körper als sozial verformte Tatsache im Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung  - in einem komplexen installativen Setting aus Performance, Objekten, Fotografien und Screening im öffentlichen Raum.